Logo Kurt Scheuerer, Ingolstadt Kurt Scheuerer - Anmerkungen zur Mythologie  
Wer waren die weisen Frauen
des Nibelungenliedes?

 
Die Burgunder zogen von Worms am Rhein zum Land der Hunnen in Ungarn.

An der Donau angekommen fragten sie sich,   (Nibelungenlied, 25. Aventiure)

"wie si koemen übere:   der wâc was in ze breit."   (Woge, Flut)
Hagen warnte:
»daz wazzer ist engozzen,   vil starc ist im sîn fluot.«   (1528)
»Jan´ ist mir«, sprach Hagene,   »mîn leben iht sô leit,   (1530)
daz ich mich welle ertrenken   in disen ünden breit. ...
Belîbet bî dem wazzer   ir stolzen ritter guot.   (1531)
ich wil die vergen suochen   selbe bî der fluot,   (verge = Fährmann)
die uns bringen übere   in Gelpfrâtes lant.«   (= Bayern)

In voller Rüstung begab er sich auf die Suche:
"Er was vil wol gewâfent,   den schilt er dannen truoc,   (1532)
sînen hélm uf gebunden,   lieht was er genuoc." ...
"Dô suocht´ er nâch den vergen   wider unde dan."
Also hin und her, bzw. flussauf und flussab. Allzuweit wird er dabei aber in kampfbereiter Rüstung vermutlich nicht gegangen sein.
Die Burgunder sind also wohl nicht wie früher, anläßlich der Verabschiedung Kirmhilds, bei Großmehring an die Donau gekommen. Sie könnten in der Gegend von Wettstetten-Etting sich mehr nach Osten gehalten haben. Ein Weg, der sie dann über Oberdolling durch das Kelsbachtal nach Ettling und Pförring geführt hatte. Das Tal ist trocken und war auch damals sicherlich nicht versumpft, eignete sich also durchaus für einen großen Heerzug. Es mündet bei Ettling in das damals womöglich breitflächig überschwemmte Donautal.
Dabei hätten sie aber an den Ettlinger Quellen vorbei kommen müssen. Es ist also auch daran zu denken, dass sie über die Hochebene südlich des Tales gezogen sind, dort, wo später die Römerstraße angelegt worden ist. Nimmt man eine breite Überschwemmung an, so dürften die Ettlinger Quellen nicht allzuweit vom Ufer entfernt gewesen sein, so dass Hagen an ihnen vorbeikommen musste.
"er hôrte wazzer giezen   (losen er began)   (1533)
in einem schoenen brunnen;   daz tâten wîsiu wîp.
die wolden sich dâ küelen   unde badeten ir lîp."
Der Quellteich ist praktisch ohne Strömung, das Rauschen des Wassers musste also von Lebewesen verursacht worden sein. Waren es Schwäne?
"Hagen wart ir innen,   er sleich in tougen nâch.   (1534)
dô si daz versunnen,   dô wart in dannen gâch."
Sie versuchten also sogleich davon zu kommen, als sie ihn gewahrten.
"daz si im entrunnen,   des wâren sie viel hêr.   (froh)
er nam in ir gewaete;   der helt enschadete in niht mêr."
Hagen nahm ihr Gewand, weiteren Schaden fügte er ihnen nicht zu. Dieser Zusatz muss wohl aus der Sicht der Zeit um 1200, als das Nibelungenlied in seine letzte Form gebracht worden war, gesehen werden. Der Autor will wohl andeuten, dass diese Szene nicht mit der biblischen Geschichte von Susanna mit den Alten verglichen werden kann. Sie muss wohl mit dem Wissen aus der germanischen Mythologie gedeutet werden. Dort gibt es Geschichten um Schwanenmädchen, die beim Baden ihre Kleider ablegen, und dann menschliche Gestalt haben. Nimmt man ihr Schwanenkleid, so müssen sie dem Räuber zu Willen sein. Jedoch auf solches war Hagen offensichtlich nicht aus, er wollte die Zukunft über die Reise der Burgunder zum Hofe der Hunnen wissen, was von den weisen Frauen auch sogleich erkannt worden war:
"Dô sprach daz eine merewîp,   Hádeburc wás si genant:   (1535)
»edel ritter Hagene,   wir tuon iu hie bekant,
swenne ir uns, degen küene,   gebet wider unser wât,
wie iu zuo den Hiunen   disiu hovereise ergât.«
Damit geben sie sich als Wesen der »Anderswelt« (um diesen gängigen, von den Inselkelten überlieferten Begriff zu wählen), der Welt des Jenseitigen, des Geistigen, zu erkennen.
"Si swebten sam die vogele   vor im ûf der fluot."   (1536)
Nicht wie es Nixen getan hätten, schwammen sie im Wasser, sie schwebten über den Fluten, wie Schwäne, die lautlos mit unsichtbaren Fußbewegungen über das Wasser gleiten. Und daran erkannte Hagen ihr - dem Menschen verborgenes - Wissen, ihren Sinn:
"des dûhten in ir sinne   stárk únde guot."
Er war also sofort bereit, ihre Aussagen zu glauben:
"swaz si im sagen wolden,   er gelóubt ez deste baz."
Begierig wandte er sich ihnen daher zu:
"des er dô hin z´in gerte,   wol beschieden si im daz."
Und er erhielt Bescheid: Dass sie alle große Helden wären und sich große Ehre erwerben würden. Das musste ihm natürlich gefallen:
"Der rede was dô Hagene   in sînem herzen hêr.   (1538)
dô gab er in ir kleider   und sûmte sich niht mêr."
Kaum aber hatten sie ihr Verwunderung erregendes Gewand wieder angelegt:
"dô si dô an geleiten   ir wunderlîch gewant,"
so gaben sie ihm die rechte, die richtige und ausführliche Auskunft über seine Reise, mit der sie vorher noch zurückgehalten hatten:
"dô sagten si im rehte   die reise in Etzelen lant.
Dô sprach daz ander merewîp:   diu hiez Sigelint:   (1539)
»ich wil dich warnen, Hagene,     ...
durch der waete liebe   hât mîn múome dir gelogen.
kúmestu hin zen Hiunen,   sô bistu sêré betrogen.« ..."
Bis auf den Kaplan "des küneges kappelân" würden sie alle zu Tode kommen.
"Dô sprach in grimmem muote   der küene Hagene:   (1543)
»daz waere mînen herren   müelîch ze sagene,
daz wir zen Hiunen solden   vlíesen álle den lîp.
nu zeige und überz wazzer,   daz aller wîséste wîp.«   (Du allerweisestes Weib!)
Si sprach: ...     (1544)
»swâ obene bî dem wazzer   ein herberge stât,
dâ inne ist ein verge   und niender anderswâ.«"
Hagen ging hoch ans Ufer der Donau:
"dô gie er bî dem wazzer   hôher an den sant,"
und fand am gegenüber liegenden Ufer den Fährmann:
"dâ er anderthalben   eine herberge vant."
Und damit begann das Morden, welches erst mit dem Tod aller Nibelungen endete.

Nach historischen Quellen waren die Burgunder 436 am Rhein vernichtet worden.
Und Attila starb 453 am Tag seiner Hochzeit mit der Germanin Ildico.
Das Epos war um 1200 am Hof des Bischofs von Passau in Zusammenfassung mehrer alter Sagen entstanden.

In der Dietrichs- oder Pidrekssaga (K. 364) heißen die Frauen "siókonor" und sind ebenfalls Mutter und Tochter. Sie sind dort vom Rhein hergekommen und werden von Hogni nach ihrer Auskunft erschlagen.
Auch diese Version weist darauf hin, dass es sich bei dem Auftreten der beiden Frauen möglicherweise um einen vorübergehenden Besuch der Quelle durch Schwanenmädchen gehandelt hat. Es waren dann wohl Wesen der Luft, keine Quellnixen oder Geister der Erde bzw. der unteren Welt. Sie sind dann auch der germanischen Religion und dort dem Bereich der Asen zuzuordnen. Walküren, die Töchter des Odin/Wodan, tragen gelegentlich auch Schwanenkleider. Sie kommen von weit her und durchreiten die Welt. Die auf dem Schlachtfeld verstorbenen Einzelkämpfer geleiten sie ins Jenseits, hinauf zum Schloss des Odin. Diese Tätigkeit würde auch mit dem Ende der Nibelungen zusammenpassen, welches die Frauen am schönen Brunnen vorhersagten.

Die Gabe der Voraussicht ist allerdings eher den Geistern der Tiefe, den Nornen gegeben.
Diese entsteigen einer Quelle am Fuße des Weltenbaumes:

"Eine Esche weiß ich,   heißt Yggdrasil
Den hohen Baum netzt   weißer Nebel;
Davon kommt der Tau,   der in die Täler fällt.
Immergün steht er über   Urds Brunnen.
Davon kommen Frauen,   vielwissende,
Drei aus dem See   dort unterm Wipfel.
Urd heißt die eine,   die andre Werdandi:
Sie schnitten Stäbe;   Skuld heißt die dritte.
Sie legten Lose,   das Leben bestimmten sie
Den Geschlechtern der Menschen,   das Schicksal verkündend."
(Edda, Völuspâ 19 und 20. Nach Karl Simrock.)

Urd, Werdandi und Skuld - das Geschehene, das Werdende und die Schuld.
Urd pries Hagen als Helden, Werdandi zeigte ihm schonungslos den Tod, die Skuld jedoch schwebte verhängnivoll und unsichtbar über der ganzen Szene.

Im kalten, Jahrtausende alten Wasser, das aus großen Tiefen emporgedrückt wird, schwimmen Forellen, die Salme der Weisheit, wie sie in inselkeltischen Sagen geschildert werden.

Verschiedene Aspekte einer Geschichte und eines Ortes.

Ein weiterer Gedanke:
Hagen gleicht Aktaion, dem Königssohn aus einem altgriechischen Volksmärchen, welcher Artemis und ihre Nymphen beim Bade an einer Quelle beobachtet hatte. Da er die Nacktheit der Göttin gesehen hatte, musste er sterben: Er wurde in einen Hirsch verwandelt und von seinen eigenen Jagdhunden zerrissen.

Kurt Scheuerer, 1997  


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